Sonntag, 20. Juni 2010

Trockenshoppen

oder: ... KDH, what?

Andere haben das Problem, dass sie in den ersten Sommerwochen - oder besser in den letzten Wochen vor dem Sommer? – sich selbst auf Diät setzen. Die letzten kleinen Bauchfältchen ausglätten, die Weihnachtssündereien (die wir eigentlich im Mai begangen haben, es immer noch auf Weihnachten schieben) von den Hüften los werden, den platten Kino-Po aus den regnerischen Sonntagen des Frühjahrs wieder in Form bringen.

Bei mir hat eine ganz andere Diät zugeschlagen: die sog. KDH (Kauf Die Hälfte). Mein Portemonnaie blitzblank, mein Konto ächzend vor leere. Verdammt. Ich bin kein Mode-Chick. Nicht etwa abhängig davon, dass Meister H&M mir diktiert mit welchem Paar Hosen ich morgen vor die Tür treten darf. Nein, es ist mehr das Problem, dass man Tag um Tag in Zeitschriften, Schaufenstern und auf Webbannern mit schönen bunten Kleidern konfrontiert wird. Es ist als wäre man auf einer Party mit dem grössten Dinner-Buffet, der feinsten Delikatessen, der grössten Dessertauswahl – aber man hat gerade gestern von seinem Doktor gesagt bekommen, dass man eine Laktose- und Glutenintoleranz hat. Ein Happen und es nimmt dir die Luft zu Atmen. Einmal shoppen und schwubb, das Konto hat einen Asthma-Anfall.

Zu allem Unglück habe ich den Job gewechselt. Nein, nicht das ist das Unglück – viel mehr, dass sich das neue Büro in einem Shoppingcenter befindet. Wir passen da nicht mal rein. Wer setzt schon ein Distributor für Backup- und Storagelösungen in ein SHOPPINGCENTER? Und jetzt schiebt sich jede Mittagspause eine ganze Allee von bunten Kleidergeschäften zwischen mich und meinen Mittagssnack.

Beim umhören und umsehen unter meinen Freundinnen, habe ich drei Möglichkeiten gefunden, mit diesem „Problem“ umzugehen.

Trockeshopping: der älteren Generation eher als Schaufestershopping bekannt. So habe ich Stunden damit verbracht zahlreiche Online-Shops zu durchstöbern. Da sind der Userin heute keine Grenzen mehr gesetzt. Jede Marke, jeder Schnitt, jeder Style findet seinen Platz irgendwo im Web. Ich habe mich Stunden lang als PinUp-Girl verkleidet, meine Business-Kombis aufgewertet und sogar bei IKEA ein Gestell ausgesucht für all die neuen Schuhe, die ich nie besitzen werde.

Fremdshopping: das geht vor allem an die Mädels, die in einer Beziehung stecken. Wenn das eigene Budget nicht ausreicht um sich neu einzukleiden – gehen wir an das Geld unserer Partner. Dies bedarf kleiner subtiler Tricks. Wir wollen sie ja nicht bestehlen oder so.
Also verführen wir sie dazu ihre eigene Garderobe aufzustocken. Wie vorhin erwähnt, manchmal geht es ja nicht mal so sehr darum, selbst das neueste zu besitzen – mehr darum, der Fülle an bunter, neuer Dinge ein zuhause zu geben. Und, dass wir auf dem Weg zur Kasse per Zufall an etwas vorbei laufen, was wir heimlich unter die Sachen unseres Lieblings schmuggel, lässt sich leicht mit einer Entschädigung für die ganze Beratungszeit verargumentieren.

Schatzshopping: dies dauert nur wenige Minuten – hat aber einen unfassbaren Effekt auf unserer Garderobe. Einfach einmal die Türen zum Kleiderschrank öffnen und zwischen den Stapeln und Kleiderbügeln einmal die Kleider heraus zu ziehen – die wir einmal gekauft aber niemals getragen haben. Erstaunlicherweise kann man mit dem Haufen dieser Stücke meistens sich selbst eine ganze neue Persönlichkeit zaubern.


Ich habe alles ausprobiert, es hat wunderbar funktioniert. Die Jeans, die ich mit 17 (!!) gekauft hatte, passt toll zu den Stiefeletten die ich im Frühjahr gefunden hatte. Die Sonnenbrille hatte ich meinem Freund als „super passend“ angedreht – wohl in der Hoffnung, dass er sie einmal bei mir liegen lassen würde. Auf dem Weg, sie ihm zurück zu bringen ist sie mir auf die Nase gerutscht. Oops.

Wegen mir, kann der Sommer jetzt endlich kommen. :)

Donnerstag, 17. Juni 2010

Die kleine Schraube

Oder … sing it back on me!

Kennst du das? Ein kleines Elektrogerät, vielleicht ein Wecker. Er steht da auf dem Nachttisch und funktioniert einwandfrei. Aber wenn du ihn anhebst und ein wenig drehst und wendest, gar auf den Kopf stellst – dann hörst du es. Eine leises klicken und klirren. Es ist eine kleine Schraube die lose im Wecker herum fliegt. Wo sie her kommt weiss man nicht so genau, was sie machen sollte auch nicht – aber sie ist da und mit Sicherheit hat sie auch eine Aufgabe. Aber der Wecker funktioniert trotzdem.

Ich bin im Moment so eine kleine Schraube. Neuer Ort, neue Menschen, neuer Arbeitsweg … und dann klirre und klicke ich leise hin und her – auf der Suche nach meinem Ort und meiner Aufgabe.

Schon am Morgen im Tram habe ich das Gefühl eine kleine Gemeinschaft zu stören. Ich stelle mir vor, wie diese Menschen jeden Tag in das gleiche Tram steigen. Der Mann im Anzug sitzt immer vorne an der Türe, da kann er die Beine lang strecken. Die zwei Mädels auf dem Schulweg haben zwei Reihen besetzt, neben ihnen stapeln sich Rucksäcke und Sporttaschen. An der nächsten Haltestelle steigt die junge Frau im Business-Kleid ein. Der Mann an der Tür sieht ihr wahrscheinlich jeden morgen nach und fragt sich, wieso das Tram nicht einmal so voll sein kann, dass sie sich neben ihn setzt. Aber würde er dann den Mut aufbringen sie anzusprechen? Ich bin hier nur der Kommentator aus dem „Off“ – ich hoffe ich bin ein bisschen unsichtbar und starre diese Leute an.

Im Büro dann die Erkenntnis, ich bin nicht unsichtbar. Aber ich bin immer noch eine Schraube ohne Gewinde. Ich kuller durch den Raum an meinen Platz – schmeisse meinen Computer an und schau in mein Postfach. Leer. Meine Dossiers im Gestell. Leer. Meine Pinnwand. Nicht da.

Ich habe gestern eine andere Schraube getroffen. Sie sass auf einem kleinen Treppenvorsprung an der Bushaltestelle. Die Schweizer-Kappe tief ins Gesicht gezogen um sie herum 6 junge Kerle. Sie schimpfen auf sie ein „Man was machsch?“ und äffen sie nach „Das geht dich nichts an!“ – sie betonen die Wörter extra stark, so dass man gleich merkt, dass unter der Schweizer Kappe eine Deutsche stecken muss. Die Jungs finden Gefallen daran, stacheln sich gegenseitig an – schimpfen und lachen hässlich über die Frau. Einer erhebt die Bierdose und lässt den Strahl langsam vor der Frau niederrinnen. Gerade als ich losstürmen will – steht die Frau auf, streckt die Arme in die Luft und singt „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Board…“. Die Jungs treten zurück, schauen erst etwas dümmlich aus der Wäsche, dann lachen sie und dann ... singen sie mit! Und sie lachen gemeinsam. 5 Minuten Zürich Langstrasse. Ein philosophisches Märchen. Ein verstecktes Gewinde für eine lose Schraube.

Ich überlege ob ich jetzt los singen kann. Ein passendes Lied? Oder besser ein unpassendes? Einfach einen Platz zwischen Monitor und Telefon auf dem Pult suchen, die Arme ausbreiten und los singen „Bring it back, sing it back, bring it back, sing it back to me …“ Eine Discokugel fährt aus der Decke und dreht sich über meinem Kopf, der Raum verdunkelt sich und aus den Wänden scheinen bunte Lichter. Und alle erheben sich und tanzen und singen mit.

Naja – ich arbeite noch an dem Plan.
Aber das Ziel, bleibt das gleiche! Ein tanzendes Büro – so bin ichs mir schliesslich gewöhnt.