Samstag, 23. April 2011

Es ist Sommer!

Oder: Stapsen-Bräune

Ich kann leider nicht bis zum Ende dieses Textes warten um mein Highlight des Tages zu erzählen. Man sollte das ja so machen, Spannungsbogen und so. Aber ich schaff es nicht. Es ist diese Frau, die rechts von mir lag. Solange ich auf dem Bauch blieb war sie rechts, wenn ich mich auf den Rücken drehte war sie plötzlich links. Aber dann auch hinter mir und so kann ich sie ja nicht mehr sehen.

Also drehen wir uns doch gemeinsam wieder auf den Bauch, haken die Zehenspitzen im Boden ein und stützen uns auf die Ellenbogen. Und dann sehen wir sie, die genialste Bräune aller Zeiten. Schöne lange Frauenbeine ganz in Milchschoggi-Bräune getränkt. Ganz? Nein nicht ganz – in der Mitte der Oberschenkel zieht sich ein klarer Streifen durch die Haut. Hier wechselt die Tönung von Schoggi zu Sahne. Zuerst dachte ich die junge Dame hätte vergessen die Stapsen abzuziehen, als sie sich in den Bikini geschmissen hatte. Nichts Ungewöhnliches für die Gesellschaftsstruktur Zürichs, die an diesem Flecken mit einem präsentablen Querschnitt vertreten ist. Aber bei längerem betrachten komme ich zu dem Schluss: sie hat Straps-Bräune. Ich fange an mir vorzustellen, dass sie diese nicht bei kilometerweiten Velotouren an der Sonne eingebrutzelt hat, sondern, dass heute Morgen in ihrem Briefkasten ein Werbeflyer lag. „Neu Neu Neu – erleben Sie Bräune in neuer Dimension, das innovative Bräunungssystem von Sparkel zaubert Ihnen nicht einfach goldige Bräune auf die Haut, sondern schmückt Sie gleichzeitig mit individueller Accessoire-Bräunung. Verführen Sie mit dieser Technologie und überraschen Sie einmal ganz neu.“ Wer würde nach so einem Text nicht auch ins Studio um die Ecke laufen und sich zwischen Karo-, Nadelstreifen- und Strapsbräunung für die optische Abgrenzung entscheiden.

An diesem Flecken Grashalmansammlung in Zürich würden sich sicher ein paar Menschen (hier absichtlich undefinierten Geschlechtes) finden. Ich dreh mich mal wieder auf den Rücken und lasse die Dame hinter mir. Sie hat sowieso gerade Besuch bekommen. Hier auf der Wiese tummeln sich wie schon gesagt ein ganzer Haufen Städtler aus allen möglichen und unmöglichen Teilen der Gesellschaft. Es zeigt sich eine pseudo Loyalität gegenüber den sonst getrennt lebenden Persönlichkeiten, die ihnen manchmal selbst ungeheuer wird. So zum Beispiel der Vater, der mit seiner Tochter, wahrscheinlich gerade 6 Jahre alt geworden, ein Plätzchen sucht. Dort erspäht er ein, ihm passend erscheinenden, Raum zwischen den zahlreichen Badetüchern. Er schnallt sich den Rucksack von den Schultern und schaut sich in seinem neuen Umfeld um. Noch während er sich nervös am Handy-Halter in Hüfthöhe festhält, entdeckt er eine junge Frau neben sich, die gerade in aller Ruhe dabei ist, einen Joint zu bauen. Aus rein pädagogischer Sicht, müsste er jetzt weiter ziehen, aber die Dame hat ihn schon entdeckt und lächelt zuvorkommend hinter der Sonnenbrille vor. Da hat er keine Chance mehr. Als offener Stadtmensch findet man ja solche grauzone-legalen Handlungen völlig okay und vielleicht sollte man diesen Wert auch an die Tochter weiter geben? Sie lassen sich nieder, auf ihrer karierten Picknickdecke, mit dem Hello-Kitty-Ball und der passenden Trinkflasche. Ist warm Kind, trink ausreichend. Auch ein guter, pädagogischer Rat.

Hinter mir (wenn ich auf dem Rücken liege, ansonsten links vor mir) haben sich ein paar alternde Party-Szenies versammelt. Es fing harmlos mit zweien an, die sogar schon baden waren um anschliessend jeweils drei ihrer „besten Freunde“ via Telefon darüber Bericht zu erstatten. Wer in Züri zum In-Volk zählen will, muss ja irgendwie alles als erster gemacht haben. Da kann man den ersten (unfassbar kalten)Schwumm im See nicht auslassen, bloss weils unangenehm ist. Pfennig-Absatz-Schuhe sind auch nicht bequem, aber eben – schwer angesagt. Von den Herren lerne ich, dass man jetzt nicht mehr am Letten hängt im Sommer. Weil es ja schon der „ends geilschtä Ort xsi isch“ in den letzten Jahren, aber eben – seit dieser Saison hängen „diä huerä Drögis“ mit „dä Teller-Oigä“ dort. Und die sind zwischen 8 Uhr morgens und 23 Uhr abends echt uncool. Das hilft auch alle Städtler-Loyalität nichts mehr. Sowieso an so einem Wochenende gibt es ganz klar zwei Party-Fokus-Abende. Donnerstag (und der war natürlich unvergesslich) und Sonntag. Weil am Sonntag endlich mal alle im Ausgang sind, nicht nur die Telleraugen-Menschen.

Fussball spielt man auch nicht mehr, man diskutiert darüber. Wichtig sind dabei die internationalen Vereine, in Kombination mit den tollen Stadien. Oder man posiert auf dem Ball. In der Beugung von 110-Grad kommt der Oberschenkelmuskel schön zur Geltung und die Wade liegt wie auf einem Silbertablett, erhöht im Sichtfeld. Nein man spielt kein Fussball mehr. Man spiel Speedminton. Wenn mans kann. Die vorhin konnten es, da hats auch Spass gemacht zu zusehen, aber die beiden könnens nicht. Und die Tribüne kommentiert live mit. Das Urteil ist vernichtend. In meinem inneren Auge notiere ich mir: „Niemals Speedminton in der Öffentlichkeit ausprobieren.“

Also drehe ich mich wieder auf den Bauch und packe mein Buch aus. Da steht „Sarkasmus und Zynismus verhalten sich zueinander wie Böshaftigkeit und Bösartigkeit.“ Ich glaube die Livekommentatoren dieses Samstagnachmittags sind alles auf einmal und wissen vom meisten nicht mal wie man es schreibt.