Freitag, 27. Januar 2012

Die Entwaffnung der Wut

Oder: Wieso hat da keiner dran gedacht?

Ich bin ein bisschen neidisch auf Luke. Ja dieser glückliche, dieser Bilderbuch Cowboy, dieser Lucky Luke. Sein „Lebtag“ hat es keiner gewagt vor einem Duell sich an seinem Gürtel zu vergreifen. Was wäre denn nur passiert, wenn einer einmal seine Revolver verdreht hätte oder gar durch eine andere Waffe ersetzt hätte. Eine Waffe mit Touchpad? Wie hätte Lucky Luke da wohl reagiert? Wahrscheinlich hätte er sich umtaufen lassen müssen in Angry Luke … nein, das passt nicht zum Namenssyntax: Livid Luke.

Also was wäre das für eine Welt in der Livid Luke auf Grund von fieser Manipulation nicht mehr grinsend seinen Gegnern entgegentritt, sondern Fluchend. Fluchend, weil er die Wut nicht mehr in einem einzigen, schnellen Schuss in Luft auflösen könnte. Keiner wäre je auf die Idee gekommen. Also was haben sich die Forscher, Ingenieure, Technologie- und Autokonzerne und Steves dabei gedacht? Die moderne Welt hat sich verändert und Veränderung ist nichts Schlechtes. Allerdings braucht man in dieser Welt auch viel Durchsetzungsvermögen. Zum Beispiel als kleines Auto zwischen all den grossen. Wenn ich hinter meinem Steuerrad versuche mit einer Rechtsbewegung (Steuerrad mit der linken Hand eingeschlagen) in einer langsam vorwärtsbewegende Autokolone einen Platz zu ergattern und mir dieses mehrfach durch rüpelhaftes Benehmen der grösseren Autos verwehrt wird. Dann möchte ich mit einer schnellen, gedankenlosen Bewegung meinem Ärger Luft verschaffen. Einmal schiessen, einmal aufs Lenkrad hauen und viel Lärm machen. Ganz wie Lucky Luke. Beim Versuch musste ich jedoch feststellen, dass meine Hupe nicht wie bisher in der Mitte des Steuerrades platziert wurde, sonder links dahinter an dem kleinen Hebelchen fürs Licht. In dieser Szene halte ich also das Lenkrad mit der linken Hand um gut 90 Grad gedreht und soll mit der rechten Hand quer darüber greifen um hinter dem Lenkrad einen ein Zentimeter grossen Knopf drücken zu können. Hier wird doch die Wut über äussere Zustände und Verhaltensweisen mit der Wut über innenliegende, technische Gegebenheiten abgelöst. Was soll dann noch das Hupen?

Wut ist doch so etwas Befreiendes. Ich komme mit harmonie-süchtigen Menschen nicht klar. Das banale Streben danach, aus jeder Situation das schönste zu machen, nur damit keiner sieht wie sich das Gesicht in Falten und Gruben legt wenn man wütend wird? Wer möchte schon händchenhaltend und barfuss durch den HB springen, als wäre es eine Wiese voller Blumen? Man kann doch nicht immer lieb sein. Man darf gar nicht immer lieb sein.

Jetzt ihr, liebe Steves der Welt, die mir die Telefoniererei versaut haben (ja mein lieber Wozniak, auch du!). Na klar, ich laufe auf und ab, fuchtle mit meinen Händen und diskutiere. Soweit schön und gut, das mit dem auf- und ablaufen ist schon mal ein Vorteil der neuen Technik. Aber dann kommt das Ende eines Telefonats, wenn ich immer noch voll Emotionen bin. Früher konnte man dann wutentbrannt den Hörer auf die Gabel knallen und schon alleine der Wiederhall des Hörers gab einem einen gewissen Seelenfrieden. Was macht man denn heute nach einem Telefonat? Mit der Fingerspitze dem berührungsempfindlichen Bildschirm einen kleinen Stups geben. Man mag sich das nur einmal vorstellen: „…verdammt noch mal, das lass ich mir nicht bieten! Vergiss es …“ und *stups*. Und dann blinkt noch das zufrieden grinsende Kontaktbild auf dem Monitor auf, bis man dieses mit einem weiteren Stupser von dort verbannt. Wieder: statt die Wut entlang des Armes bis in die Fingerspitzen zu kanalisieren und dort in Kraft und Aktion zu verwandeln – stauen sich alle Emotionen quer durch den Körper an. Eine unfassbar angespannte Situation entsteht. Kann man die moderne Technik auf Schadensersatz verklagen? Langsam habe ich nämlich das Gefühl, dass ich meinem Umfeld einen schulde.

Ich bin dafür, dass die Krankenkassen einen Fragebogen einführen. Für alle Besitzer von missbildeten Autos und anderen missverstandenen Verkehrsteilnehmern, für Benutzer von Smartphones und Fans von Livid Luke sollte es eine Entschädigung geben. Ein gratis Abo im Boxclub des Vertrauens oder zumindest einen Haufen Cocktailgutscheine für alle Freunde und Verwandte. Im Gegenzug gibt es massive Vergünstigungen für präventiv handelnde Mitglieder. Ich hab mir gleich ein Telefon gekauft, mit Kabel und Hörer. Die Nummer kennt nur meine Familie, mehr muss ich dazu ja nicht sagen.